Mikeys Geschichte – Alleingeburt, SSW 43+2
Ich wurde ungefähr drei Monate nach meiner Fehlgeburt wieder schwanger. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir uns entschlossen, der Natur ihren Lauf zu lassen. Glücklicherweise hatten wir noch nie Schwierigkeiten, schwanger zu werden. Am Anfang dieser vierten Schwangerschaft hatte ich wieder leichte Blutungen und daher war ich mir ganz sicher, dass es wieder in einer Fehlgeburt enden würde. Nach 10 Wochen ging ich zur Untersuchung zu der Hebamme, die ich bereits bei der dritten Schwangerschaft engagiert hatte und zusammen hörten wir den Herzschlag des Kindes. Ich ging dann lediglich zu zwei weiteren Schwangerschaftsvorsorgeterminen im gleichen Geburtshaus.
Die Hebamme leitete zusammen mit drei anderen Hebammen das Geburtshaus. In der 20. Schwangerschaftswoche hatte ich erst zwei von ihnen kennengelernt und keine von beiden machte einen besonders freundlichen Eindruck. Sie nahmen mir bei einem Termin Blut ab und erwähnten die Untersuchung beim nächsten Termin überhaupt nicht. Als ich nachfragte, wurde mir gesagt, dass alles in Ordnung war, bis auf die Eisenwerte, denn die waren etwas zu niedrig. Es ärgerte mich, dass sie mir das gar nicht mitgeteilt hätten, wenn ich nicht nachgefragt hätte. Wozu macht man denn eine Untersuchung, wenn man das Resultat nicht auswertet?
Beim letzten Termin mit der Hebamme fand eine Ultraschalluntersuchung statt. Bei dieser erfuhren wir, dass wir einen Jungen bekommen würden. Kurz vor dem Vorsorgetermin hatte ich eine Frau getroffen, die gerade ihre erste Alleingeburt hinter sich hatte. Es war ihr viertes Kind. Das gab mir den Anstoß, den ich brauchte. Ich hatte schon eine ganze Weile mit dem Gedanken gespielt allein zu gebären, aber ich machte mir Sorgen, dass das meinem Mann nicht gefallen würde.
Es dauerte auch eine Weile bis er sich an die Idee gewöhnt hatte. Aber jetzt weiß er auch, dass die Geburt etwas ist, was ich ganz allein tun muss. Die Hebamme kann helfend dabeistehen, aber die „Arbeit“ muss ich allein verrichten. Es gefiel ihm auch, dass eine Person in unserer Umgebung bereits eine Alleingeburt hinter sich hatte. Aus irgendeinem Grund machte das unser Vorhaben realistischer für ihn.
Bei der Fehlgeburt war ich sehr erstaunt, dass mein Körper alles ohne Hilfe allein tat. Und dann stellte ich mir vor, dass es ja nicht so viel schwerer sein könnte, ein Baby allein zu gebären. Dazu wäre der Ausgang natürlich viel schöner als der einer Fehlgeburt.
Meine vierte Schwangerschaft dauerte am Längsten, im Vergleich zu den anderen. Nach 20 Wochen ging ich nicht mehr zu den Vorsorgeterminen. Nach 42 Wochen und 2 Tagen hatte ich eine Panikattacke. Auf einmal machte ich mir Sorgen, dass das Baby nicht auf die Welt kam, weil er sich in der falschen Position befand. Genauer gesagt hatte ich Angst, dass er sich in Querlage befand. An diesem Tag ging ich ins Krankenhaus, denn ich konnte die Hebamme nicht telefonisch erreichen, um ein Vorsorgetermin auszumachen. Glücklicherweise war die Krankenschwester im Krankenhaus sehr hilfreich. Sie versicherte mir, dass es dem Baby gutging und dass sich sein Herzschlag ausgezeichnet anhörte. Sie untersuchte auch meinen Muttermund. Sie konnte den Kopf des Babys fühlen und sagte mir, dass der Muttermund zwei oder drei Zentimeter weit geöffnet war und bereits zu 90% ausgedehnt war.
Ich hatte bereits seit mehreren Wochen ab und zu Wehen. So war ich nicht überrascht zu hören, dass der Muttermund schon bereit war. Der Arzt im Krankenhaus sagte mir allerdings, dass er nicht wusste, ob es dem Baby gutging, ohne weitere Untersuchungen durchzuführen. Aber zu diesem Zeitpunkt war ich bereits unheimlich erleichtert, dass mein Baby sich in der richtigen Position befand. Das war der Grund, warum ich mir solche Sorgen gemacht hatte. Daher wies ich alle weiteren Untersuchungen ab und ging beruhigt nach Hause.
Aus verschiedenen Gründen (die ich heute nicht mehr nachvollziehen kann), fühlte ich mich trotzdem weiterhin unter Druck gesetzt, die Geburt einzuleiten. Hinterher ist man immer schlauer und heute würde ich das nicht tun. Ich versuchte es mit Laufen, Rizinusöl und Sex. Ich untersuchte sogar meinen eigenen Muttermund, um die Wehen einzuleiten. Obwohl fast alle Versuche zu vermehrten Braxton-Hicks Wehen führten, führte keine Methode zur Geburt, selbst nach 42 Wochen Schwangerschaft.
Nach 43 Wochen redete sogar meine Schwiegermutter mir gut zu und empfahl uns, ins Krankenhaus zu gehen. Sie machte sich einfach Sorgen über die möglichen Probleme, die eine Spätschwangerschaft mit sich bringen kann (dass die Plazenta das Baby nicht mehr ausreichend ernährt, dass das Fruchtwasser unzureichend ist etc.). Zu diesem Zeitpunkt wusste auch mein Mann nicht mehr, was er denken sollte. Meine Freundin, die Frau, die selbst allein geboren hatte und als Doula tätig ist, riet mir jeden Tag etwas zu tun, was mich aus dem Haus bringt. Am Donnerstag feierten wir den Geburtstag meiner ältesten Tochter. Danach ließen wir beide Mädchen bei der Oma für eine Übernachtung. In dieser Nacht fand endlich die Geburt statt, nach 43 Wochen und 2 Tagen, sicherlich weil die Mädchen nicht bei uns waren.
Um Mitternacht erwachte ich mit Wehen und begann, in der Wohnung auf- und abzugehen. Ich wollte nicht, dass die Wehen sich wieder wie vorher in Luft auflösten. Um 1 Uhr morgens wurden sie ziemlich regelmäßig und kamen in Abständen von 3 Minuten. Um 2.30 Uhr war ich mir sicher, dass die Wehen echt waren und weckte meinen Mann auf. Ich beauftragte ihn damit, das Zimmer vorzubereiten. Er breitete die Plane und die Decken aus und sterilisierte die Schere. Um 2.45 Uhr entdeckte ich eine leichte Blutung, was mich freute, denn das bedeutete, dass unser Baby bald auf die Welt kommen würde. Um 3 Uhr ging mein Mann ins Zimmer der Mädchen und baute ein Haus aus LEGO für sie. Damit war er bis 4.45 Uhr beschäftigt. Während der ganzen Zeit lief ich im Flur auf und ab. Bei jeder Wehe kniete ich mich nieder und atmete tief durch. Ich konnte die ansteigende Intensität fühlen. Mein Mann erzählte mir die ganze Zeit über irgendetwas und das lenkte mich ab. Als er fertig war mit den LEGOs, war ich auch ermüdet vom Laufen. Ich konnte nicht mehr, aber ich hatte auch keine Angst mehr, dass die Wehen einfach wieder verschwinden würden.
Schließlich wurden die Schmerzen intensiver und ich konnte mich während einer Wehe nicht mehr unterhalten. Mein Mann schien der Meinung zu sein, dass sie öfter kamen, aber wir haben nicht mehr auf die Uhr geguckt. Nach einer Weile bekam ich den Drang zu pressen und gleichzeitig wollte ich unbedingt auf die Toilette gehen. Die ganze Nacht über war ich alle 10 Minuten auf Toilette um zu urinieren. Allerdings war es zu diesem Zeitpunkt sehr schmerzhaft, bei einer Wehe auf der Toilette zu sitzen.
Als der Drang zum Pressen unwiderstehlich wurde, fing ich an, während der Wehen zu pressen. Diese schienen auf einmal ewig zu dauern. Ich schrie beim Pressen (genau wie bei meinem zweiten Kind) und ich glaube, mein Mann hat sich um die Nachbarn Sorgen gemacht. Das Pressen dauerte nicht länger als zehn Minuten und um 6.16 Uhr kam unser Sohn auf die Welt. In der Wehe, bevor er auf die Welt kam, platzte meine Fruchtblase. Es war interessant, den kleinen Wasserfall zu beobachten. Ich konnte auch hören und fühlen wie die Fruchtblase platzte. Für mich hörte es sich an wie das Platzen eines Luftballons.
In der nächste Wehe fühlte ich wie sein Kopf hervorkam. Dann wurde der Kopf und sofort auch der Rest des Körpers in einem Schwung geboren. Mein Mann sah seine Hand, nachdem sein Kopf herauskam. Ich versuchte ihn zu halten, aber er war so glitschig, dass es mir nicht gelang. Er landete auf einer Decke unter mir und da ich mich auf den Knien befand mit den Händen auf unserem Bett, fiel er nicht sehr weit.
Später sagte mein Mann, dass die Veränderung in meinem Verhalten verblüffend war. Von einer Sekunde zur anderen ging es vom Schreien vor lauter Schmerzen zur glücklichen, neuen Mutter, die von ihrem Baby mehr als begeistert war. Mein Mann hatte schon ein warmes Handtuch bereit, womit wir ihn abtrockneten und einwickelten. Baby Michael weinte sofort. Leider war die Nabelschnur sehr kurz und nachdem ich ihn ein paar Minuten lang bei meinen Beinen hielt, ohne mich richtig hinsetzen zu können, beschlossen, wir die Schnur zu zerschneiden.
Dann ging ich auf alle Viere um zu sehen, ob die Plazenta erscheinen wollte, aber sie war noch nicht so weit. Stattdessen entschied ich mich das Baby zu stillen, um der Plazenta nachzuhelfen. Es war komisch, dass die Nabelschnur noch an mir hing, nur mit einem Schnürsenkel abgebunden. Ich konnte mich deswegen nicht richtig aufrecht hinsetzen. Unser Baby nuckelte auch gleich sofort und nachdem er fertig war, gab ich ihn an meinen Mann weiter. Diesmal erschien die Plazenta sofort und schmerzlos. Es war interessant sie anzuschauen. Ich sah sie mir an, um sicherzustellen, dass sie komplett war. Es schien alles in Ordnung zu sein und ich entschied mich, sie nicht zu behalten. Unser ursprünglicher Plan war es, die Plazenta für ein oder zwei Tage im Kühlschrank aufzubewahren, falls irgendjemand sie untersuchen musste.
Ich wollte jetzt mit meinem Baby kuscheln, aber ich war ziemlich verschmutzt. Daher ging ich erst einmal zum Duschen ins Bad. Danach setzte ich mich auf unser Bett und kuschelte mit unserem Neugeborenen. Derweil räumte mein Mann das Zimmer auf, was nicht lange dauerte. Danach kürzten wir die Nabelschnur etwas weiter und benutzten dafür die Nabelschnurklemme.
Dieses Geburtserlebnis war wirklich wunderschön. Es war toll allein zu entscheiden, was ich wann tun wollte. Mein Mann bot eine wundervolle Unterstützung. Ich glaube es wäre etwas schwieriger, ein Kind alleine zu gebären, ohne dass jemand anwesend wäre. Ich musste mir keine Sorgen um die Vorbereitung des Zimmers machen, noch musste ich nach der Geburt auf die Uhr schauen. Er hat sich um all das gekümmert. Und es war auch schön, dieses Wunder der Geburt mit ihm zu teilen und mit ihm später darüber reden zu können.
Unser Sohn wog 3.458g, was in Hinsicht auf die Dauer der Schwangerschaft ziemlich klein zu sein schien. Aber der Geburtstermin, den ich errechnet hatte, war korrekt und wurde sogar beim Ultraschall in der 20. Woche bestätigt. Ich fühlte mich gerechtfertigt, dass ich gewartet hatte und nicht zur Geburtseinleitung ins Krankenhaus gegangen war. Offensichtlich war er einfach noch nicht bereit auf die Welt zu kommen.
Im Nachhinein würde ich auch selbst nicht versuchen die Geburt einzuleiten, aus zwei verschiedenen Gründen: Erstens hat es sowieso nicht funktioniert. Und zweitens kommen Babys eben erst, wenn sie soweit sind.